Rollerfahrt

Ein Szenario aus dem Jahr 2061 mit den Dimensionen Mobilität und Wohnraum.

#Ebersberg, #Familie, #Infrastruktur, #Mobilität, #Verkehr

Autor:innen: Bettina // Attraktor:innen: Julia

Eine Fahrt durch Ebersberg ist im Jahr 2061 für Kinder und Jugendliche gar nicht so einfach. Und auch der Wohnraum müsste mal anders aufgeteilt werden.

„Oh man, ist mir heute wieder langweilig! Ich habe keine Lust mehr, in meinem Zimmer rumzuhängen. Und meine kleinen Geschwister nerven auch wieder. Ist echt blöd, dass wir zu dritt nur so ein kleines Zimmer haben, meine beiden größeren Geschwister müssen ihres wenigstens nur zu zweit teilen. Aber eine größere Wohnung ist in Ebersberg echt nicht zu bekommen, sagen meine Eltern. Ich frage mich sowieso, wann die heute wieder von der Arbeit kommen, immer nur arbeiten, arbeiten, arbeiten, damit wir uns wenigstens diese Wohnung leisten können und die zwei uralten Autos. Aber ohne Auto haben meine Eltern echt keine Chance zur Arbeit zu kommen, nachdem kurz vor meiner Geburt die S-Bahn in Ebersberg abgeschafft wurde.

Ich halte es hier nicht mehr aus, ich muss unbedingt raus. Am besten besuche ich mal Oma und Opa, die haben an ihrem Haus wenigstens noch einen Garten. Und eigentlich ist es ihnen auch viel zu groß, seitdem sie nur noch zu zweit darin wohnen. Ich verstehe echt nicht, warum wir nicht einfach tauschen. Denen müsste unsere Wohnung doch reichen und wir könnten zu siebt den Platz im Haus mit Garten echt gebrauchen. Vielleicht könnte ich dann auch endlich einen Hund bekommen, das wünsche ich mir schon so lange. Aber nein, das Leben ist ungerecht, die haben zu viel Platz und wir zu wenig.

Aber wie komme ich jetzt ins Moosstefflfeld, wo meine Großeltern wohnen? Normalerweise fahren wir dort immer nur mit meinen Eltern mal am Wochenende hin. Und dann natürlich mit dem Auto. Zu Fuß ist es ja auch viel zu gefährlich, da wir durch den ganzen Ort müssen. Früher ist meine Mama immer mit dem Fahrrad gefahren, sagt sie. Aber dann gab es einen neuen Bürgermeister und der hat dann die ganze Stadt so umbauen lassen, dass die Autos schnell durchkommen. Von Fußgängern und Radfahrern hält der nichts. Konnte er sich gar nicht vorstellen, dass jemand ohne Auto unterwegs sein will. Wo die Autos doch so bequem geworden sind. Auch Umgehungsstraßen gibt es jetzt in jeder Richtung, aber wirklich gebracht haben die nichts, da ist auch ständig Stau. Jetzt fahren einfach noch mehr Leute mit dem Auto und LKWs fahren immer noch durch den Ort. Viele Fußwege wurden ganz weggenommen, da sind jetzt breite Straßen oder Parkplätze am Rand. So kommen die Autos wenigstens einigermaßen voran, aber ohne Auto ist man echt aufgeschmissen. Selbst die wenigen Busse wurden abgeschafft, da fuhr kaum noch jemand mit.

Hilft aber alles nichts, ich will jetzt dringend zu Oma und Opa! Im Keller steht noch ein alter Roller, sieht zwar ziemlich rostig aus, aber damit bin ich vielleicht etwas schneller. Ich probier es jetzt einfach. Meinen Geschwistern sage ich besser nicht, wo ich jetzt hin will, die verpetzen mich sonst später nur oder wollen womöglich mit, aber das kann ich jetzt wirklich nicht gebrauchen. Also raus aus der Haustür, mal sehen, ob ich mit dem Roller überhaupt fahren kann. Hier auf der Straße ist es zum Glück noch einigermaßen ruhig, viele sind in der Arbeit, deshalb sind die Parkplätze frei und ich kann erst mal ausprobieren, wie das Fahren so geht. Ja, klappt ganz gut, also los. Um die erste Kurve und schon bin ich auf einer Straße, wo mehr los ist. Bürgersteig gibt es keinen, auch sonst nicht viel Platz am Rand. Aber da muss ich jetzt durch. So langsam geht es mit dem Fahren immer besser und ich versuche, am rechten Rand zu fahren, damit die Autos gut an mir vorbeikommen. Habe auch extra noch meine gelbe Jacke angezogen, obwohl es mir damit schon etwas zu warm wird. Ich hoffe, dass mich so alle gut sehen und nicht über den Haufen fahren. TÜÜÜÜÜÜÜT! Puh, das war knapp! Mensch, können die Autofahrerenden nicht aufpassen? Aber wahrscheinlich kennen sie es gar nicht, dass da mal etwas anderes als ein genauso großes Auto auf ihrer Spur ist. Noch ein bisschen, dann bin ich da, wo früher mal der Marktplatz war. Jetzt steht dort ein riesiges Parkhaus, die Geschäfte drumherum sind eh lange Pleite gegangen, da wohnen jetzt überall Leute in den ehemaligen Läden. Und ihre Autos stehen natürlich im Parkhaus. Das hat an allen Seiten Zufahrten, damit es sich drinnen nicht zu sehr staut. Aber dadurch ist drumherum auch wirklich viel Verkehr. Ich schlängel mich mit meinem Roller da durch. Welche Straße wird jetzt die sicherste für mich sein? Mit dem Auto fahren wir immer über die Bahnhofstraße, aber das ist mir doch zu gefährlich. Lieber durch die Altstadtpassage, da passen nur kleine Autos durch und selbst die müssen langsam fahren, wenn ihnen was entgegenkommt. Da kann ich mit meinem Roller vielleicht auch fahren. Hier war es bestimmt mal ganz nett, als noch keine Autos da durchfahren durften, Mama sagt, dass es da dann sogar eine Eisdiele gab, vor der man in der Sonne sitzen konnte. Kann ich mir gerade gar nicht vorstellen. Am Landratsamt wird die Straße wieder breiter. Ich muss mich jetzt entscheiden, wie ich weiter fahren will, um in den Schwedenweg zu kommen. Die Gleise der alten Bahnstrecke liegen immer noch, sind aber zugewuchert. Da kann ich aber einfach meinen Roller drüber tragen, dann muss ich nicht außen rum über die gefährlichen Straßen zu meinen Großeltern. Denn direkt hinter den Gleisen wohnen sie. Der frühere hohe Zaun als Abgrenzung zur Bahn ist schon ganz vermodert und zerfallen, da finde ich locker einen Zugang. Aber davor ist noch die 6-spurige Straße, die ich irgendwie überqueren muss. Und so mitten am Tag fahren die Autos recht schnell. Morgens und abends wäre es nicht so ein Problem, da kann keiner schnell fahren, weil so viel Verkehr ist. Aber jetzt sehe ich keine Lücke. Ob ich es einfach wagen soll? Also gut: los geht‘s! Quitsssssscccchhhhh, tuuuuuut, krawummmmmmm! Ahhhhhhh, was war das? Wo bin ich? Auaaaaa! Mir tut alles weh! Um mich herum Lärm, Abgase, hupende Autos. Und da ist noch jemand. Redet was von Krankenwagen und trägt mich an den Straßenrand. Das Gehupe hört auf, aber so sehr viel mehr bekomme ich nicht mit, bin total benommen. Mein Arm tut weh und meine Knie bluten. Ich will aufstehen, aber mir zittern die Beine, es geht nicht. Und der fremde Mann redet in einer fremden Sprache auf mich ein, sagt immer was von Krankenwagen. Aber der wird so schnell nicht kommen, ist viel zu viel Verkehr überall. So langsam geht es mir wieder besser. Ich sehe, dass ich jetzt auf der anderen Seite der Straße bin, also trennen mich nur noch die zugewachsenen Gleise vom Haus meiner Großeltern. Ich überzeuge den Mann, der mir geholfen hat, davon, dass es mir gut geht und ich keinen Krankenwagen brauche. Mein völlig verbogener Roller liegt im Gebüsch. Aber den will ich sowieso wirklich nicht mehr fahren, ist viel zu gefährlich. Der Mann vergewissert sich, dass es mir wirklich gut geht, hilft mir über die zugewachsenen Gleise und den verfallenen Zaun und als er sieht, dass ich sicher vor dem Haus meiner Großeltern stehe, winkt er mir noch einmal zu und verschwindet mit einem Lächeln auf den Lippen wieder im Gebüsch. Zu spät merke ich, dass ich mich gar nicht richtig bei ihm bedankt habe.

Oma und Opa haben von dem ganzen Tumult auf der Straße überhaupt nichts mitbekommen. Sie sind sehr überrascht, mich alleine vor ihrer Tür zu sehen. Natürlich darf ich hereinkommen und sie versorgen meine Wunden. Zum Glück ist nichts gebrochen, nur ein paar Schürfwunden, das wird schon wieder. Gemeinsam essen wir Kuchen und ich berichte von meiner verbotenen Fahrt zu ihnen. Sie überlegen, ob es nicht doch irgendeine Möglichkeit gibt, dass wir auch bei ihnen im großen Haus mit wohnen könnten. Wäre alles zwar auch nicht ideal und dann zu neunt immer noch eng, aber viel besser als in der kleinen Wohnung am anderen Ende der Stadt. Und vielleicht könnte ich dann sogar einen Hund bekommen?