Der Geburtstag

Ein Szenario aus dem Jahr 2061, im Spannungsfeld von Umweltbewusstsein, nachhaltigem Leben und Virtual-Reality in einer multi-kulturellen, sozial verarmten Gesellschaft.

#Ebersberg, #Gemeinschaft & Gesellschaft, #Klima & Umwelt

Autor:innen: Petra, Ernst // Attraktor:innen: Quirin

Schöne, neue Welt. Oder etwa nicht...?

Oops, was ist denn hier los? Wieso ist das so nass heute Morgen? Hmmm. Ach so, Angelo weckt mich ganz lieb mit seiner nassen Schnauze. Na, dann stehe ich mal auf.

Also, ab in den Bademantel und erst einmal einen gemütlichen Morgen-Kaffee nehmen. Ach, ist das schön hier. Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern und der traumhafte Blick auf den grünen Marienplatz. Bäume, Blumen, Wiesen und ein paar Radler sind zu sehen.

Bin mal gespannt, wie dieser besondere Tag wird. Was ich schon alles erlebt habe und heute der runde Geburtstag! Wie ich nach der langen Flucht aus dem Iran kam und dann am Münchener Hauptbahnhof so schön und herzlich empfangen wurde. Die Wärme einer Großfamilie im Iran und heute eine digitale Welt mit wenig ‚echten‘ persönlichen Kontakten; Hologramme, Nachrichten, Online-Shopping mit Lieferdiensten.
Und jetzt, hier in Ebersberg mit meiner Familie und den Enkeln. Schade, dass mein Ehemann dies nicht mehr miterleben kann. Er hatte mich viele Jahre begleitet. Ich bin mit ihm nach Ebersberg gezogen und dann ist er plötzlich verstorben.
Tja, und was für ein Glück, dass ich Georg heute an meiner Seite habe. 

Ach, da werden schon die ersten Glückwünsche als Hologramme angezeigt. Georg hat schon an mich gedacht, die Kinder Amal, Hassan und Max und meine beste Freundin Liesl.

Gut, dass ich bei den altmodischen postalischen Einladungen das Versandintervall „monatlich“ beachtet habe; aber die meisten Einladungen gingen ja doch ohnehin mit Drohnen raus. Schön, dass die Gäste heute kommen und meinen Tag mit mir verbringen. Viele sind ja hier in Ebersberg, nur meine Tochter Amal kommt mit der Magnet-Schwebebahn aus Frankfurt. Flughäfen sind ja nur noch für internationale Flüge nutzbar.

Noch ein kurzer Blick auf die Checkliste. Bio-Catering wurde bestätigt, und ich freue mich darauf, heute Abend endlich mal wieder in einem Restaurant zu essen.

So, jetzt muss ich mich sputen…

Hui, das ist ja traumhaft schön. Blumengirlanden, ein altmodischer Stehempfang, mein Lieblingslied ist zu hören und dies alles vor der Haustür auf dem Marienplatz. Die ersten Gäste sind schon da und ich bin mal echt gespannt, was heute noch so passiert. Ach, da kommen die Enkel Josef, Lisa und Bianca mit meinem Sohn Max und seiner Lebensgefährtin Jennifer.

Eine tolle Tour haben sie organisiert. Leider ist das Ticket nur für 10 Personen, so dass nicht alle daran teilnehmen können. Reglementierter Naturschutz im 21 Jahrhundert! Aber toll ist ja, dass alle Landschaftsschutzgebiete durchgängig verbunden sind und wir über grüne Korridore ohne Verkehrsknotenpunkte dorthin hinkommen.

Gut, mit dem autonomen Ruf-Taxi zum Egglburger See und jetzt müssen wir uns am Eingang zum Naturschutz Reservat entscheiden, welche 10 Personen jetzt mit auf die Tour kommen. Aber es ist ja mittlerweile üblich, solche Entscheidungen per Losverfahren zu treffen. Gut, meine Tochter Amal, mein Sohn Hassan, der Bäcker, mit seinen beiden Kindern, Jennifer mit den Kindern und Georg. Liesl und Max haben leider eine Niete gezogen und müssen sich die Zeit am Bio-Buffet vertreiben.

Tour-Guide ist eine Drohne, welche uns intelligent durch den Park führt, um die Besucherströme zu steuern, so dass keine Belastung für die Natur entsteht. Gut, dass frühzeitig die richtigen Weichen gestellt wurden. Eine unglaubliche Vielfalt an Flora und Fauna, klare Luft, reines Wasser und auch die Probleme mit dem Absenken des Grundwasserspiegels wurden gelöst. Die Weiherkette wurde renaturiert, der Klostersee hat eine hervorragende Wasserqualität. Gut, dass es kaum noch Nutztierhaltung gibt und die Landwirtschaft auf Getreide und Gemüse umgestellt ist.

Keinen privaten Individual-Verkehr mehr, keine Verbrennungsmotoren, Fahrzeuge, welche miteinander kommunizieren und somit eine intelligente Steuerung des Verkehrs. Schön, dass es solarbetriebene Rikschas gibt, toll für die Senioren!

Aber leider ist für uns Alte nicht alles so rosig. Mir geht es gut, aber Liesl fühlt sich ziemlich einsam. Eine zugeteilte, kleine Wohnung, Kontakte nur noch digital; keine Kinder, die sie unterstützen und deswegen kann sie sich die erforderliche Gesundheitsversorgung nicht mehr leisten. Schlimm wenn man dazu verdammt ist, viel Zeit auf dem Sofa zu verbringen, weil Gehhilfen nicht mehr bezahlt werden.

Und meine Enkel wachsen schon in einer virtuellen Welt auf. Schulen, Kontakte, Kultur, Einzel-Sport, alles online und keine ‚echten‘ Menschen mehr, die sich treffen. Das Vereinsleben damals war doch etwas ganz Anderes. Über den Mannschaftssport, hat man doch erfahren, was Teamfähigkeit und Zusammenhalt bedeutet.

Schön, das Hassan als Bäcker einen traditionellen Beruf hat, bei dem er noch selbst Hand anlegen kann. Regionale Bio-Zutaten, nach althergebrachten Rezepten verarbeitet sind einfach etwas Besonderes aus seiner Back-Manufaktur.

Fast alle anderen arbeiten 100% im Homeoffice und haben auch keine geregelten Arbeitszeiten mehr. Routine-Arbeiten werden durch KI und Bots erledigt.  

Ach, da zieht mein Enkelkind Bianca an meinem Finger, d.h. die Tour geht wohl los. Ich war schon lange nicht mehr in unserem Naturschutzgebiet. Bin mal gespannt, was der Drohnen-Guide uns heute Tolles erzählt. Auf geht es zum ersten Ausguck. Oh, das wusste ich ja gar nicht, – hier gibt es seit wenigen Jahren wieder eine größere Kiebitz-Population; und die seltene nachtaktive Fledermausart Hufeisennase scheint es hier auch wieder zu geben. Rebhühner, Amphibien in Gumpen; und auch mit den vereinzelten Wölfen hat man einen guten Umgang gefunden. Toll! Ein wirkliches Naturparadies im Vergleich zu den 2020ern! Und die Kinder werden über Wildnis-Camps in jungen Jahren an die Natur herangeführt und sensibilisiert.

Puuh, das war jetzt eine schöne Tour mit vielen wichtigen Informationen. Schön, dies mit meinen lieben Menschen zu erleben. Wirklich ein besonderes Erlebnis in der heutigen Zeit! Gerade meiner Tochter Amal aus der Mega-City Frankfurt tut es gut, mal wieder in der intakten Natur zu sein und Energie zu schöpfen. Die Zeit verrinnt wie im Flug, also auf ins Restaurant, wo wir dann mit den anderen Gästen wieder zusammentreffen.

Im Restaurant ‚Future Alm‘ werden wir von Robotern mit einem Aperitif empfangen. Schön, dass Liesl und Max auch wieder bei uns sind. Sie haben sich die Zeit zwischendurch schon am Bio-Buffet vertrieben. Nach dem ersten Gang gibt es noch eine tolle Überraschung. Es werden Holo-Lense-Brillen ausgeteilt und in einem virtuellen Raum kann ich mich auch noch mit den entfernten Verwandten aus dem Iran treffen. Schön, wie sie mich umarmen und mir ein Geburtstagsständchen singen. Ein leckeres vegetarisches Menu und als besonderes Schmankerl kleine Fleischhäppchen. Fleisch wird wegen der Erfüllung der Klimaziele kaum noch angeboten und ist auch sehr teuer geworden.

Ach wie süß, da kommt ein Robot mit einem Geburtstagskuchen mit Kerzen. Wie, ich soll in die App auf meinem Smartphone schauen? Ja, was ist denn das? Ein Einkaufsgutschein, für eine echtes Einkaufszentrum! So etwas gibt es noch? Ich dachte Einkaufen passiert nur noch online.  Und jetzt, lasst uns alle anstoßen mit einem guten, roten Tropfen aus der Ebersberger Kapser Steillage. Hmmm, ein ‚Rent a Friend‘-Abo… Für meine Enkel ist dies die Normalität; mich stimmt es doch recht nachdenklich.

War das ein schöner Tag! Jetzt bin ich wieder alleine in meiner schönen Wohnung, liege im Bett und Angelo hat sich auf meine Füße gekuschelt. Was habe ich doch alles in meinen 75 Jahren gesehen und an Veränderungen erlebt! Bin mal gespannt, wie sich Ebersberg noch weiterentwickelt.