Das Rätsel um den vergessenen Tunnel

Ein Szenario aus dem Jahr 2061 mit den Dimensionen Mobilität und Wohnraum

#Ebersberg, #Gemeinschaft & Gesellschaft, #Infrastruktur, #Klima & Umwelt, #Mobilität, #Verkehr

Autor:innen: Karin // Attraktor:innen: Julia

Es könnte so schön sein in der Zukunft! Und wir haben es in der Hand, dass in 40 Jahren nur noch ein paar Überbleibsel an die Vergangenheit erinnern und wir uns fragen, warum wir nicht schon früher damit angefangen haben, die Welt zu verändern. Ja, manchmal braucht es Zeit - und Mut für Veränderungen.

Ich wache auf und reibe mir verschlafen die Augen. Lautes,  aufgeregtes Vogelgezwitscher hat mich geweckt. Die Jalousien meines Dachfensters öffnen sich langsam und das hereinströmende Sonnenlicht kitzelt mich so in der  Nase, dass ich Niesen muss. 

Es ist so warm und kuschelig in meiner Schlafkoje, dass ich am liebsten noch liegenbleiben würde. 

Als könnte Tim ( mein zweiter Papa ) meine Gedanken lesen, erscheint sein lächelndes Gesicht auf dem Bildschirm neben mir. „Guten Morgen, Großer. Du hast heute sehr gut geschlafen. Ich habe deine Daten ausgewertet und in dein Gesundheitsprofil eingetragen. Ich bin gleich in einem Meeting, wir sehen uns am Nachmittag .“ 

Ich steige aus meiner Schlafkoje und schlendere gemütlich in unsere große Wohnküche. 

Mama hat mir mein Müsli für heute schon einprogrammiert. Sie meinte, dass ich in letzter Zeit ziemlich gewachsen bin und hat mir ein paar Vitamine und Mineralien mehr eingespeichert. Ich drücke auf den Knopf und  schon ist meine Schüssel gefüllt mit leckerem Müsli. 

Mama hat mir  gestern Abend vorgeschlagen, ich solle mich nach der Sommerzeit wieder für ein Ernährungsprogramm anmelden, da ich zuviele Süßigkeiten esse. 

Mist, denke ich, sie hat die Karte doch angesehen, nichts kann ich vor ihr verheimlichen. 

Ich nehme mein Müsli mit raus auf unsere kleine Dachterrasse und setze mich in die Sonne. 

Wir wohnen in einem Holzhaus mit großen Fenstern im 3. Stock. Wir sind gerade wieder umgezogen, weil wir mehr Platz brauchen . Tim hat zwei große Kinder, die uns alle 2 Wochen besuchen. Er hat die Wohnung so konstruiert, dass wir ohne Probleme zu siebt dort wohnen können.Unsere Nachbarn Lena und Luis haben die Wohnungen mit uns getauscht. Die beiden sind viel unterwegs mit Ihrem fahrbaren Haus und sind mit einer kleinen Wohnung sehr zufrieden. 

Mitten im Garten steht unser großer Gemeinschaftspool. Die Häuser bilden einen Kreis um ihn. Mein Opa hat erzählt, dass hier an der Baldestrasse früher eine Schule stand und unser Pool ein Hallenbad war. 

Es ist schon richtig Trubel im Garten, die beiden Omas vom Nebenhaus machen ihre morgendliche Spazierrunde, einige Kinder warten ungeduldig am Beckenrand darauf, dass der Putzroboter endlich fertig ist. Die Frühsportgruppe macht Dehnübungen und Fatima, unsere Nachbarin hat es sich schon auf der Vorlesebank gemütlich gemacht. 

Fatima ist eine fantastische Geschichtenerzählerin und die kleinen Kinder lieben es, sich an Sie zu kuscheln und ihren Geschichten zu lauschen. 

Fatima und ihr Mann sind vor vielen, vielen Jahren mit ihren Eltern nach Ebersberg gekommen und hier geblieben. Ich habe meine Eltern und die beiden oft belauscht, wenn sie von dem  schrecklichen Krieg in Syrien erzählt haben. 

So jetzt muss ich aber los, sonst komme ich noch zu spät. 

Ich packe meinen  Laptop in den Rucksack und laufe nach unten in die Radgarage. Wo ist mein Fahrrad ,frage ich mich verwundert. Ich habe es gestern auf meinen Platz gestellt. Bestimmt hat es mein Bruder wieder „ ausgeliehen“. 

Kein Problem, ich nehme mir eins der Leihräder, ist eh cooler als meins. Schnell in die Liste eingeschrieben und los geht’s. 

Die Talentwerkstätten befinden sich in Grafing Bahnhof.  Alle Kinder aus dem Umkreis, zwischen 4 und 18 Jahren, werden hier gefördert. 

Heute sind auf der Fahrradschnellstrasse total viele Radfahrer unterwegs. Ich steige in die Pedale meines E-Bikes und kann nach wenigen Minuten, schon von weitem, die kunterbunten, kreuz und quer gestapelten Häuser erkennen. 

Die Häuschen sind verbunden mit Rutschen , Seilen, Klettergerüsten , Schaukeln und Seilrutschen. Es wuselt nur so von Kindern und Jugendlichen. 

Meine Freunde erwarten mich schon am Fahrradplatz. Als Erstes rennen wir hoch auf das Dach der Holzwerkstatt und einer nach dem anderen düst mit der Seilrutsche nach unten. 

Raffi erzählt uns ,dass er gestern Abend bei seinem Opa war und eine Karte entdeckt hat. In diese Karte ist ein Tunnel eingezeichnet, der unterirdisch 2 Kilometer durch Ebersberg geht. 

„Was, rufe ich ganz aufgeregt,  das habe ich noch nie gehört. Hast Du sie dabei ?“ 

„Ja, klar, hier ist sie. Los, lasst uns in den Park gehen, dann können wir sie in Ruhe anschauen.“ 

Aufgeregt versammeln wir uns um die Karte und vereinbaren, uns nach den Projekten in der  

Fahrradgarage zu treffen, um gemeinsam zur Kirche nach Ebersberg zu fahren. 

Wir nehmen uns  ein Lasten E-bike.  Raffi und Sina setzen sich vorne rein, ich radle und Max nimmt auf dem Gepäckträger Platz. 

Laut Karte müsste der Tunneleingang irgendwo hinter der Kirche sein. 

Hier befindet sich die große Ebersberger Obstbaumwiese, wo wir mit Äpfeln, Birnen , Kirschen und Zwetschgen versorgt werden. Dazwischen stehen jetzt im Sommer viele Minihäuschen, darin wohnen meistens Leute, wie mein Onkel und meine Tante, die sich schöne Stellplätze in Städten und Dörfern suchen. Manche kommen nur für ein paar Tage, manche bleiben auch einige Jahre. 

Wir setzen unsere Koordinatenbrillen auf und geben die Daten ein, die wir in der Karte entdeckt haben. Vermutlich ist dort ein Belüftungssystem eingebaut worden.  

Von der Abenteuerlust gepackt schwirren wir aus und suchen einen Einstieg. 

„Ich hab was gefunden“. Sina steht wild winkend hinter einem großen Apfelbaum und deutet auf eine Stelle vor ihr. 

Wir sehen ein kleines Gitter.  Ziehen  mit vereinten Kräften daran und schon gibt es nach und wir schauen hinunter . „Da gibt es eine Leiter“ , ruft Max und klettert mutig als Erster hinunter . 

Ebenso mutig, wie aufgeregt klettern wir drei ihm hinterher und staunen  nicht schlecht, als wir unten ankommen und vor uns eine riesengroße, mehrspurige Strasse liegt. 

„Seht mal, die Strasse ist beleuchtet, ihr könnt eure Led´s auf den Helmen wieder ausschalten. 

„Der Tunnel wird wahrscheinlich mit dem alten Solarsystem betrieben“ rufe ich laut. 

Es hallt so schön hier unten. 

Wir marschieren los . Nach einigen Minuten wird es uns fast ein bisschen langweilig, da es außer der Strasse nichts zu sehen gibt. Wir hatten gehofft, hier spannende Dinge aus der Vergangenheit zu finden, aber außer ein paar Lüftungsgittern, Schildern und einer alten Ampelanlage ist hier nichts  zu sehen. 

Dann sind wir am Ende angelangt.  „ Was machen wir jetzt, suchen wir einen Ausgang oder gehen wir wieder zurück“, fragt Max.  „Wartet mal!“ rufe ich und klettere die kleine Leiter hoch , die zu einer Metalltüre führt. 

Ich öffne die Türe und blicke in einen dunklen , tiefen Schacht. Ich stecke meinen Kopf weit in die enge Öffnung und schon ist es geschehen. Ich  verliere das Gleichgewicht , rutsche kopfüber den engen Tunnel hinunter , tauche in Wasser ein und bevor ich überhaupt einmal Luft holen kann , tauche ich im Klostersee wieder auf . Zitternd schwimme ich auf den Sprungturm zu, steige aus dem Wasser und stehe triefend nass und am ganzen Körper bebend da. 

Alle sehen mich erstaunt an. Meine Schwester kommt angelaufen, nimmt mich am Arm und zieht mich von den anderen fort. 

„Oh je , was ist denn passiert, du zitterst ja am ganzen Körper.“ „ Ich erzähle dir gleich die ganze Geschichte. Aber zuerst muss ich Max, Sina und Raffi Bescheid geben, dass mir nichts passiert ist.“ 

Gott sei Dank ist mein Handy nicht verloren gegangen. 

Ich muss meine Freunde am Telefon erst mal beruhigen, sie haben sich große Sorgen um mich gemacht und sofort meine Eltern verständigt, die sich  in mein Notfall GPS System eingeloggt haben und gerade um die Ecke biegen. 

„Gott sei Dank, da bist Du ja! Hast Du Dich verletzt ? Ist alles in Ordnung mit Dir? Was machst Du denn für Sachen“? Meine Mama nimmt mich in den Arm und wickelt mich in ein großes flauschiges Handtuch, sogleich hört das Zittern auf. 

Max, Sina und Raffi kommen herbeigelaufen und stöhnen erleichtert auf, als sie mich erblicken, unverletzt und geborgen in den Armen meiner Mama. 

„So und jetzt mal der Reihe nach, wie seid ihr denn auf die absurde Idee gekommen in den Tunnel zu klettern ?“ fragt uns Tim 

Wir berichten ihm von der Karte. 

„Wollt ihr wissen warum damals ein Tunnel in Ebersberg gebaut wurde?“ fragt er uns. 

„Oh ja, bitte erzähle es uns“ rufen wir einstimmig. 

„Erst versprecht ihr mir, dass ihr keine gefährlichen Alleingänge mehr unternehmt.“ unterbricht ihn meine Mama mit ernster Miene. 

Kleinlaut stecken wir die berechtigte Schelte ein und warten gespannt darauf, dass Tim mit seinen Erzählungen beginnt. 

„Ihr kennt Ebersberg als eine komplett autofreie Stadt. Wie ihr wisst, dürfen in den inneren Ring nur Fahrzeuge von Anlieferern und Anwohnern. Diese sind Gast auf den innerörtlichen Straßen und müssen sehr langsam fahren. Die Fahradfahrer haben Priorität und können sich sicher auf den vielen Radwegen in Ebersberg bewegen. An den Außenbereichen des Rings gibt es Stellflächen und Ladestationen für Besucher von Ebersberg. Eine führerlose Bahn verbindet die Außenbereiche mit der Innenstadt und dem Bahnhof.  

„ Ja klar, wissen wir doch , wenn es regnet klicken wir unsere Fahrräder auf die überdachten Wägen und fahren damit zu den Talentwerkstätten. Wir können sogar auf den Rädern sitzen bleiben.“unterbreche ich ihn kurz. 

„Und warum haben sie damals einen Tunnel gebaut“ fragt Raffi neugierig. 

Das war 2030. In Ebersberg gab es kein Durchkommen mehr, die Straßen waren den kompletten Tag über voll und verstopft. Es war schrecklich laut und die Luft war ziemlich verschmutzt. Der damalige Bürgermeister nahm den Plan für die Tunnellösung aus der Schublade ( der lag dort schon viele Jahre ) und konnte die Bürger davon überzeugen, dem Tunnelbau zuzustimmen. 

„ Das war bestimmt die Karte, die ich bei meinem Opa gefunden habe“, ruft Raffi begeistert. 

Es hat natürlich viele  Jahre gedauert und der Tunnel ging schon einige hundert Meter in die Tiefe. 

Dann hat Ebersberg eine neue Bürgermeisterin  gewählt. Eine Frau mit Visionen, mit wunderbaren Ideen, teilweise verbunden mit sehr radikalen Einschnitten und Veränderungen. Aber das hat den meisten Ebersbergern gefallen, sodass sie gewählt wurde. 

Sie versprach Ebersberg zur Fahrradhauptstadt Bayerns zu machen. Diese Auszeichnung hat Ebersberg im Jahre 2055 erhalten. Den Preis konnte sie leider nicht mehr als Bürgermeisterin entgegennehmen, aber sie hat definitiv den Grundstein dafür gelegt. 

Natürlich gab es viele Stimmen gegen ihre Projekte. Die Betreiber der wenigen Geschäfte und Cafés hatten große Sorge, dass durch das Verbot von Autos in der Innenstadt , die letzten Kunden auch noch wegbleiben würden. Die Stimmung war sehr angeheizt und in den sozialen Netzwerken das vorherrschende Thema. 

„ Wieso haben die sich denn so schrecklich aufgeregt“ fragt Sina erstaunt. 

Wir haben doch den schönsten Marktplatz auf der ganzen Welt. Hier gibt es soviele kleine Geschäfte, Cafés, Restaurants, Biergärten und Spielflächen und alle Ebersberger treffen sich hier am allerliebsten.“ 

„Da hast Du Recht, aber das konnten sich manche Bürger und Bürgerinnen damals nicht vorstellen.“ meint Mama. 

Tim fährt mit seiner Erzählung fort. „Sie hat sich auch dafür eingesetzt den Marktplatz neu zu gestalten. Viele ihrer Ideen wurden im Laufe der Jahre umgesetzt. 

Die Wasserspiele für Kinder um den Brunnen waren ihre Idee. Außerdem hat sie mit ihren Teams dafür gesorgt, dass der Marktplatz zur grünen Oase wurde. Viele der großen Bäume wurden damals angepflanzt. 

Vom Mehrgenerationenzentrum im Osten bis zum Bürgerhaus im Westen sitzen heute die Menschen jeden Alters zusammen, genießen die Gemeinschaft und freuen sich über die duftenden und bunt blühenden Blumen auf dem gesamten Platz. 

Ebersberg ist heute eine Stadt mit einer sehr hohen Lebensqualität.  

Dann kann eine Person mit tollen Ideen viel verändern, sinniere ich nachdenklich. 

„Wir könnten  uns doch überlegen, was man aus dem Tunnel machen kann.“ schlage ich meinen Freunden vor. Nach der Sommerfreizeit nehmen wir die Karte mit in unser  Projekt „Zukunftsvisionen“ und berichten unseren Freunden und Teamleitern von unserer Entdeckung.“  

Begeistert stecken wir unsere Köpfe zusammen. Die ersten Ideen entstehen. Vielleicht erzähle ich sie Euch auch irgendwann.