Georg: A little bit of Carla in my life​

Ein Szenario aus dem Jahr 2048 mit den Dimensionen: Nachhaltigkeit - Globalismus

#Rest der Welt, #Gemeinschaft & Gesellschaft, #Klima & Umwelt

Autor:innen: Ulrike // Attraktor:innen: #2

Man kümmert sich nur um die Menschen in der direkten Umgebung, ist sehr angepasst. Eine starke Gemeinschaft mit starkem Zusammenhalt. Jeder lebt bewusst und nachhaltig, verbraucht so wenig Ressourcen wie möglich. Es gibt nur noch lauter kleine, lokale/regionale Einheiten. Grenzen sind wichtig, weil wir nur eine begrenzte Menge an Land, Wohnraum, Essen etc. haben.

Ein Tag im Leben von Georg, 35 Jahre, Down-Syndrom

Samstag, 08. August 2048 irgendwo zwischen Deutschland und der Schweiz

„Was soll das jetzt heißen, ich soll sofort meinen Müll rausbringen? Welchen Müll überhaupt? Ich mache keinen Müll, zumindest so wenig wie möglich! Und warum kommandierst Du mich eigentlich ständig rum, als wär ich behindert?!“ Georg hat schlechte Laune. Das kam sehr selten vor, eigentlich so gut wie nie. Aber heute war es soweit. Der Grund dafür war Carla. Er kannte sie erst seit ein paar Wochen, seit jener Nacht in der „Bambus-Bar“ seines besten Freundes Robert. Zugegeben, an diesem Abend war er selbst nicht mehr ganz nüchtern, als er Carla dort hinten in ihrem selbstgestrickten grün-orangenem Kleid sah und mit ihr einen Cocktail mit Biominze und selbst gezüchteter Rosmarinzitrone trank. Die Spezialität der Bambus Bar, in ihre Drinks kam nur frisches und gesundes aus eigenem Anbau. Ohne viel Worte kam sie einfach mit zu ihm nach Hause und blieb. Bis heute…

Georg lebte in dem kleinen weißen Haus am Stadtrand, schon seit seiner Geburt. Vor 35 Jahren kam er mit Trisonomie 21 auf die Welt – ein lang ersehntes Wunschkind seiner Eltern, die ihn vom ersten Tag an mit Liebe überschütteten, wahrscheinlich wie alle Einzelkinder. Seit einigen Jahren durfte man aufgrund der Ressourcenknappheit pro Familie nur noch zwei Kinder erzeugen. Einen Tag nach seinem 19. Geburtstag war er plötzlich allein. Seine Eltern, die sich von der ersten Stunde an bei „Green-for-Freedom-Zone“ engagierten, kamen nach einer Open-Air-Veranstaltung auf dem Rapsfeld vom Bauer Gschlössl nicht mehr nach Hause. Georg hatte in dieser Nacht seelenruhig geschlafen, bis ihn plötzlich ein Klingelsturm aus einem schönen Traum riss. Was er geträumt hatte, wusste er nicht mehr. Es sei ein dramatischer Unfall, sagte die nette Polizistin. Später hat er erfahren, dass ein übermüdeter Lastwagenfahrer seine Eltern auf den neuen Elektrofahrrädern an der Kreuzung einfach übersehen hatte. „Jetzt bin ich Vollwaise und ständig auf der Suche nach jemanden, der mich liebt“, dachte Georg, „und das endet meistens wie jetzt!“ Seine Eltern hatten Georg bestens auf das Leben vorbereitet, auch finanziell hat er keine Sorgen. Er erbte das energieeffiziente, komplett solarbetriebene und bedarfsoptimierte Elternhaus. Geld aber war ihm nicht wichtig. Grundsätzlich nahm er alle Dinge wie sie kamen, so auch den plötzlichen Tod seiner Eltern. Einsam aber war Georg jedoch nie. Er hatte stets viele Freunde um sich herum, die ihn für vieles schätzten. Nicht zuletzt für seinen unverwechselbaren, manchmal auch nicht ganz nachvollziehbaren, aber dennoch irgendwie „süßen“ Humor. Für seine Mitmenschen war er zwar ein mittelmäßiger Ratgeber, dafür aber ein umso besserer Zuhörer, ganz egal, was sie ihm erzählten. Nach einer Begegnung fühlten sich die meisten einfach besser, hörte er immer wieder.

Die Welt von Georg war friedlich, satt, bescheiden und ohne künstliche Geschmacksstoffe. Gelebt wurde vor allem vom eigenen Anbau, gesund und lecker. Von den öffentlichen Anbauflächen, Gärten und Treibhäusern, durften sich alle nehmen, was sie brauchten. Hat einer zu viel Äpfel, Kartoffeln, Holzofenbrot oder Rhabarber -Saft gehabt, dann teilte er es mit den anderen. Ein Geben und Nehmen, einer für alle, alle für einen, lautete das Motto seiner Gemeinschaft. Denn hier gilt: Jede geteilte Ressource ist damit gleich doppelt so viel wert.

Georg selbst war alles andere als ein guter Gärtner, der grüne Daumen seiner Mutter fehlte ihm völlig. Aber Georg hat eine ganz besondere Begabung: Bereits mit drei Jahren fing er an Postkarten zu malen. Genauer gesagt Tierpostkarten. Er hat sie über die Jahre so perfektioniert, das man glaubt, man hätte ein digital erstelltes Foto vor sich. Und da die Menschen Postkarten nur noch aus Erzählungen ihrer Urgroßeltern kennen, ist schon das Format eine Besonderheit.

Georg hatte drei ganze Wochen mit Carla in seinem Haus verbracht, Tag und Nacht. Carla arbeitete im Rathaus und kümmerte sich um die Einhaltung der Öko-Regeln. Er liebte es, wenn sie nach der Arbeit in ihrer grünen Uniform mit den vielen Sonnenblumen nach Hause kam. Stolz und glücklich hatte er sie allen seinen Freunden vorgestellt, den Nachbarn, dem Biobäcker, der Buchhändlerin für geistig nachhaltige Literatur, ja Carla kannte jetzt wirklich jeder im Ort. Viele von ihnen hatten schon mal mit ihr zu tun, auf dem Wertstoffhof oder bei der Bußgeldstelle, wenn sie, in der Regel unabsichtlich, gegen eine Verordnung verstießen und ins Rathaus zitiert wurden oder an einer „Belehrstunde“ teilnehmen mussten. Georg freute sich über den Respekt, den ihr die Menschen entgegenbrachten.

Carla liebte seine köstlichen Gerichte, und ließ sich gerne rundum verwöhnen. „Jetzt passt’s!“, freute sich Georg, während sie gemeinsam mit Besen und Staubtuch durchs Haus fegten. Sie hatten miteinander gelacht, geschwiegen, gespeist, geschwelgt, getrunken, gelesen, gealbert, sich geliebt und vieles mehr. Es schien perfekt zu sein. „Obwohl... ich mag ihre Strenge und ihre lehrerhaften Belehrungen nicht, wenn es um das Einhalten von Regeln und Gesetzen geht“, merkte er verwundert.

Georg war so im Glück, dass er darüber völlig vergaß, seine doch so heiß begehrten und allseits beliebten Postkarten weiter im Ort zu verteilen. Alle kannten und liebten sie, nur Carla noch nicht. Das sollte sich heute ändern. Georg hatte sich dafür etwas ganz Besonderes ausgedacht. Er kochte das bisher beste ökologisch, regional, saisonal und fair produzierte Menü für seine Carla, dafür hatte er sich extra von Giovanni, dem italienischen Gärtner zwei Häuser weiter, beraten lassen und stellte eine Flasche seines besten alkoholfreien Pfirsichproseccos in den Kühlschrank. Schnell würzte er noch den Salat mit seiner selbstgemachten Kräutermischung aus Basilikum, Minze, Zitronenschalen, Petersilie und Brennesel.

Während sie noch beim Nachtisch saßen, einer köstlichen Bayerischen Creme à la Schubeck, und herzhaft über den ökologischen Fußabdruck lachten, zückte Georg seine absolute Lieblingskarte. Es war eine dreifarbige Glückskatze, die sich in der Wiese räkelte und mit Samtpfoten versuchte, einen Zitronenfalter zu fangen. Ganz schnell und mit Vorfreude legte er sie Carla vor die Nase. Sie sah sich die Karte lange an. Schweigend. Georg beobachtete jeden Winkel ihres Gesichts. „Noch nie hat jemand so lange auf eine Karte geschaut, ja gestiert, ohne mit der Wimper zu zucken.“, schoss es ihm durch den Kopf. Sein Bauch kribbelte, aber nicht mehr vor Freude, sondern aus Angst. Bislang konnte er noch jeden Menschen mit seinen Karten glücklich machen, ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubern... fast immer bekam er sogar mehr Geld dafür, als er verlangte.

Carla schaute immer noch und schwieg. Georg nahm eine zweite, eine dritte, und am Ende einen ganzen Stapel. Da sagte sie nach einer Ewigkeit zu ihm: „Was soll das denn jetzt? Bring endlich diesen Müll hier raus. Egal, in welche Schublade ich schaue, überall liegen diese komischen Tierbilder rum. Das ist eklig. Jedes Tier glotzt mich an. Wer verbraucht denn heute noch so viel Papier? Pure Verschwendung, und wenn du nicht aufpasst, dann bekommst du es noch mit der Polizei zu tun. So was Blödes!“

Nachdem Georg einmal ganz kurz, aber laut und heftig Dampf abgelassen hatte, lächelte er sofort wieder, packte vorsichtig ihre Sachen zusammen und brachte sie zur Tür. „Mach’s gut, Carla!“, rief er ihr noch hinter her. Dann zog er sich an und ging zu Robert in die Bambus Bar auf einen Drink und dann sah er sie…. Paula.